
Primo Medico spricht zum Thema – Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern mit Prof. MUDr. Martin Kostelka:
“Behandlung erfordert spezielles Know-How”

Prof. MUDr. Martin Kostelka
Leitender Oberarzt der Kinderherzchirurgie
Spezialist für Kinderherzchirurgie
Leipzig, Deutschland
Interview mit dem Kinderherzchirurgen Prof. MUDr. Martin Kostelka
Dank des Fortschritts in der Medizin erreichen inzwischen über 90 Prozent der Kinder, die mit einem Herzfehler geboren werden, das Erwachsenenalter. Damit wächst eine neue Patientengruppe heran: Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern, abgekürzt EMAH. Diese Patienten stellen die zuständigen Fachdisziplinen vor große Herausforderungen, denn sie können nicht einfach genauso behandelt werden wie andere erwachsene Herzpatienten. Ein Team von Spezialisten ist nötig, um einen individuellen Therapieplan zu erstellen. Solche Teams gibt es nur an spezialisierten Zentren wie dem Herzzentrum Leipzig. PRIMO MEDICO sprach mit dem dort tätigen Kinderherzchirurgen Professor Martin Kostelka über die Betreuung dieser besonderen Patientengruppe.
Herr Professor Kostelka, warum ist die Behandlung von Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern eine besondere Herausforderung?
Diese Patientengruppe ist sehr komplex. Viele Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern sind bereits mehrfach voroperiert und zeigen im Alter Begleiterkrankungen verschiedenster Organsysteme. Die mit der klinisch größten Bedeutung sind: chronische Nieren- und Leberinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen, pulmonale Hypertonie, neurologische Probleme und periphere Durchblutungsstörungen.
Für die richtige Diagnose und eine optimale Behandlung dieser Patienten müssen verschiedene Fachdisziplinen im klinischen Alltag als Team zusammenarbeiten: Kinderkardiologen, Kinderherzchirurgen, Erwachsenen-Kardiologen, Erwachsenen-Herzchirurgen, Radiologen und Internisten.
Von wie vielen Patienten sprechen wir?
Derzeit gibt es in Deutschland etwa 300.000 Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. Jedes Jahr werden zusätzlich etwa 5.000 Kinder am Herz operiert. Eine Vielzahl dieser Kinder wird weiterhin in unserer Betreuung sein und nicht selten weitere Operationen vor sich haben. Ich selbst operiere jährlich etwa 320 Patienten. Dabei versorgen wir in unserer Abteilung nahezu das gesamte kinderherzchirurgische Spektrum, angefangen von Defekten der Kammerscheidewände bis hin zu komplexen Korrekturen und palliativen Eingriffen bei Kindern mit dem sogenannten Einkammerherz.
Etwa 30 Patienten pro Jahr sind Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. Bei diesen Patienten müssen vor allem Herzklappenprothesen der Pulmonal- und Aortenklappe erneuert und ersetzt werden. Aber auch komplexe Re-Operationen an der Hauptschlagader sind nicht selten. Einige Patienten sind bereits drei- bis viermal voroperiert. Diese Situation erfordert eine exakte interdisziplinäre OP-Vorbereitung. Durch Verwachsungen in und um das Herz benötigt man sehr viel Erfahrung und ein eigespieltes Team im OP, um einen maximalen postoperativen Erfolg zu verzeichnen.
Die meisten unserer Patienten kommen aus Deutschland. Aber auch Patienten aus Afrika, den Balkanstaaten und der islamischen Staatengemeinschaft – vor allem Iran und Irak – werden aufgrund Ihrer komplexen Herzerkrankung bei uns versorgt.
Eine Heilung ist nicht möglich?
Viele der Patienten hätten vor 50 Jahren keine langfristige Lebenserwartung gehabt. Erst durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Kinderherzchirurgie und Kinderkardiologie hat sich die Lebenserwartung sehr positiv verbessert. Von einer 100-prozentigen Heilung kann aber dennoch bei komplexen Herzfehlbildungen nicht die Rede sein. Die meisten Patienten kommen im Alltag gut zurecht, viele treiben sogar regelmäßig Sport. Durch die regelmäßige Vorstellung in unserer Ambulanz können wir sogenannte Restbefunde im Verlauf kontrollieren und nötige Re-Operationen zeitnah planen. Die Lebensqualität kann so in hohem Maß gesichert werden.
Wer kann eine solche lebenslange Betreuung leisten?
Das geht nur in hochspezialisierten Einrichtungen. Es gibt schon allein 40 Diagnosen von angeborenen Herzfehlern, die sich in 200 Kombinationen darstellen können. Diese werden in drei Gruppierungen mild, moderat und komplex eingeteilt. Daraus ergibt sich eine enorme Palette von Möglichkeiten – und das erfordert ein ganz spezielles Know-How. Es sind vor allem die selteneren aber schwerwiegenden Erkrankungen, bei denen die Kombination die Komplexität die späteren Re-Operationen bedingt: Pulmonalatresie mit oder ohne Ventrikeseptumdefekt, Fallotsche Tetralogie die mit transannulären Patch versorgt wurde, Trikuspidalatresie, hypoplastische Links oder Rechtsherzerkankung, Truncus arteriosus, Morbus Ebstein. Normale Krankenhäuser oder kleinere Zentren, in denen es lediglich eine Erwachsenenmedizin gibt, können das nicht leisten.
Das Herzzentrum Leipzig, an dem Sie tätig sind, ist ein zertifiziertes Kompetenzzentrum für Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern. Was bieten Sie dort an?
Wir bieten einen umfassenden Service für Patienten mit angeborenen Herzfehlern von der Geburt bis ins hohe Alter an. Diese Patienten bekommen in unseren Händen alles, was sie brauchen – von einer hochkomplexen Diagnostik über den chirurgischen Eingriff bis zur Nachbetreuung und zur regelmäßigen Kontrolle. Wir haben alle Verfahren und Geräte im Haus, die für die Diagnostik notwendig sind, und können innerhalb von zwei Tagen die komplette Diagnostik abschließen. Für jeden Patienten wird dann in einem multidisziplinären Team ein individuelles Behandlungskonzept erarbeitet. Das ist es, was uns einzigartig macht.
Herr Professor Kostelka, wir danken Ihnen für das Gespräch.